Mein Name ist Rolf Allerdissen, Jahrgang 1966. Ich begrüße alle Anwesenden aufs herzlichste zur Veranstaltung Johann Wewer ABGEMUSTERT
Johann Wewer war mein Urgroßvater und von seinem Leben und Tod möchte ich Ihnen jetzt berichten.
Johann wurde 1877 in Ostfriesland geboren und hat zwei Weltkriege miterlebt und überlebt. Im strengend kalten, sogenannten Hungerwinter 1945/46 schaffte er es zusammen mit meinem Großvater, seinem Sohn Johannes und dessen Familie u.a. durch das Plündern von Kohlezügen zu überleben.
Das Haus in denen sie wohnten erhielt am 30. März 1945, also gut drei Wochen vor Kriegsende in Bremen noch einen Luftbomben-Volltreffer.
Sowohl mein Urgroßvater als auch mein Großvater waren geschickte Handwerker. So lebte die Familie mit sieben Personen, drei Erwachsenen und vier Kindern in einer aus den Trümmern selbst gebauten Haus, eher Schuppen von ca. 50 qm im Garten des zerstörten Hauses. Alle lebten eng beieinander in einem Schlafzimmer und einem Zimmer, in dem gekocht und gewohnt wurde. Lediglich die teilfunktionierende Toilette suchten sie in den Trümmern des Hauses auf. Meine Mutter, mittlerweile 86 Jahre erinnert sich noch gut an die Zeit und erzählte es mir sehr oft.
Hatten sie im Garten einen Verschlag in dem ein Schwein mit einigen Hühnern zur Selbstversorgung Untergracht war gab es die folgende Familienanekdote: Das Schwein war eher wie ein Hund und büxte schon mal aus und zog um die Häuser der Siedlung, war deshalb überall bekannt. Einmal kam eine Nachbarin und sagte zu meiner Großmutter: „Guten Tag Frau Weber, wie geht’s ihrem Schwiegervater, was macht das Schwein?“
In den ersten Nachkriegsjahren der 1940er, er war fast 70 Jahre alt, schaffte er es, wie viele andere Einwohner Bremens, mit Schwarzmarktgeschäften ein einfaches und gottbescheidenes Leben zu führen. Er handelte vornehmlich mit Lebensmitteln, die mein Großvater als Zivilangestellter einer U.S. Army Einrichtung in der Küche besorgte. Auch seine Verwandtschaft in Ostfriesland versorgte ihn mit kleineren Mengen Tee, der in Bremen knappe Handelsware gewesen ist.
Als die Währungsreform die D-Mark in den Westzonen brachte fuhr er mit Bargeld ausgestattet regelmäßig mit dem Zug mehrere Stunden zu seinen Verwandten nach Ostfriesland um in Leer immer zwei große Koffer mit Schwarztee, den berühmten Ostfriesentee zu kaufen. Er verkaufte den Tee zunächst als Kleinhändler an Kunden direkt, später auch als Großhändler an Geschäfte in Bremen. Er verdiente damit kein Vermögen aber immerhin so viel, dass er Anfang der fünfziger Jahre als begeisterter Zuschauer des Bremer Landesligisten TURA Bremen sich jeden Sonntag nach dem Gottesdienst und Mittagsessen, am frühen Nachmittag Fußballspiele im Stadion anschaute. Mittlerweile lebte er alleine in einer Neubauwohnung in Bremen-Göpelingen recht komfortabel durch seine kleine Rente und Erspartem aus den Teegeschäft.
1954, er war bereits 76 Jahre alt verfolgte er das „Wunder von Bern“ mit vielen anderen Menschen und auch dem Stiefvater meiner Großmutter vor der Schaufensterscheibe des Rundfunkgeschäfts Hermann Hauer an der Gröpelinger Heerstr. in Bremen. Meine Oma erzählte, das beide nach dem Endspielsieg der Herberger-Elf nicht nur freudetrunken gewesen sind. Zwei große Flaschen Haake-Beck sorgte mit zwei Schritt vor, einen Schritt zurück für eine verlängerte Heimwegzeit der beiden. Wir müssen nämlich wissen, dass mein Urgroßvater nie Alkohol trank.
Ein Jahr später fuhr er mit der Bahn über Osnabrück bis nach Westerhausen bei Melle am Wiehengebierge um bei der Hochzeit meiner Eltern an einem schönen Sommertag am 25. Juni 1955 in Niederholsten ein sehr gesehener Gast zu sein. Meine Mutter erzählte mir bereits als Kind, dass er damals durch die Zeit seines Lebens schwere körperliche Arbeit auf dem Land in Ostfriesland, den Häfen in Emden, Bremerhaven und Bremen zwar sehr „schlecht zu Fuß“ unterwegs war aber immer wach und gesund. Er verlor auch nie seinen trockenen Humor, dem eines kleinen Lausbuben. Das er eigentlich nur Ostfriesisch Platt sprach war zu der Zeit in Norddeutschland nichts unübliches. Mein Vater, der im Osnabrücker Land aufwuchs verstand dieses und seinen Humor nicht so gut. Mein Vater antwortete aus Höflichkeit auf jeden Witz meines Urgroßvaters während der Hochzeitsfeier nur mit: „Jau, jau.“ und so bekam mein Vater der eigentlich Heiner hieß innerhalb der Familie meiner Mutter seinen Spitznamen „Jaujau“. Als Kind verstand ich es natürlich nicht wenn wir meine Verwandtschaft in Bremen besuchten warum ihn immer alle nur „Jaujau“ nannten, schließlich war er doch „Papa“.
1957 kurz vor seinem 80. Geburtstag verstarb mein Urgroßvater Johann Wewer dann plötzlich und für die Familie unerwartet eines natürlichen Alterstodes, friedvoll nach einem langen und gesegneten Leben. Er starb so berichtete meine Mutter und meine Großmutter immer mit einer Träne in den Augen ohne Reue anderen Menschen gegenüber, weil sein Schicksal es stets gut mit ihm meinte.
Seine Nachfahren und so auch ich haben sehr viel von dieser Leichtigkeit des Lebens geerbt. Wir alle, so kann ich es behaupten, sind eine gesunde und intakte Familie mit guten heilen Erinnerungen an meinen Urgroßvater Johann Wewer.
Nun endet hier die Feelgood-Geschichte.
Wenn sie nun wahr wäre, würden wir hier uns heute nicht treffen um über die Verbrechen der Nationalsozialisten und insbesondere um die Folgen der NS-Gesundheitspolitik, damals wie heute zu sprechen.